Tanja Genski

Für Politik bin ich viel zu zerbrechlich

 

Ich eigne mich nicht für die Politik, dazu bin ich viel zu zerbrechlich. Ich leite ein Projekt für ein friedfertiges Miteinander und was Politik anbetrifft, habe ich oft den Eindruck, dass dort eher das Gegenteil der Fall ist.

 

Als Außenstehende sah es für mich oft so aus, als würden sämtliche „Politikschaffenden“ verbal und real mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Waffen auf den anderen „draufhauen“ und das scheint irgendwie zum „guten Ton der Politik“ zu gehören. Ja, das scheint sogar von den Politikmachenden erwartet zu werden, denn es erzeugt ja auch einen gewissen Unterhaltungswert und eine für mich „gruselige“ Form der Lebendigkeit.

 

Andererseits verstehe ich die vielen aufgestauten Gefühle, die aufgrund vieler unerfüllter Bedürfnisse entstehen und dem Gefühl nicht gehört zu werden oder erst gar nicht zu Wort zu kommen – oder sogar der Tatsache nicht gehört zu werden oder erst gar nicht zu Wort zu kommen.

 

Warum brauchen wir die Politik überhaupt?

 

„Warum brauchen wir die Politik überhaupt?“, habe ich mal gefragt. „Naja, die Politik macht Gesetze…“, lautete die Antwort. Inzwischen habe ich verstanden, dass es leider nicht reicht, sich für den Schutz von Tieren nur in Verbänden, Vereinen und privaten Initiativen zu engagieren. Wir brauchen auch Gesetze und die macht die Politik. In unserer Demokratie versuchen wir sogar die Gesetze so zu machen, dass alle geschützt werden und alle friedlich miteinander leben können.

 

Das ist die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Sie fängt damit an sich zu fragen: Was beinhaltet eigentlich das Wort „alle“?

 

Was beinhaltet eigentlich das Wort „alle“?

 

Bezieht sich „alle“ nur auf Menschen oder auch auf die Tiere und vielleicht sogar auf Pflanzen?

 

Ich persönlich frage mich sogar solche Dinge, wie: Warum achten wir das Leben einer kleinen Topfpflanze so gering, dass wir sie für 99 Cent Verkaufspreis, eingezwängt in einen für sie viel zu kleinen und für uns hübsch ausschauenden Topf, einige Tage im Supermarktregal hin- und herschieben, um sie dann – weil niemand „die Zeit fand“ ihr ein wenig Wasser zu geben – vollkommen vertrocknet und sterbend in den Müll zu schmeißen?

 

Eine kleine Geschichte dazu…

 

Ich habe einmal 22 solcher sterbenden kleinen Pflanzen zu mir mit nach Hause genommen und wurde dafür teilweise belächelt oder beschimpft.
Als ich das nächste Mal kam, drückte mir die Kassiererin stumm die sterbende Pflanze in die Hand. „Ach, nehmen Sie die einfach mit, wir schmeißen die eh weg“, sagte sie leise, aus Mitgefühl für die kleine Pflanze, die nur noch ein einziges Blatt hatte, und sicherlich auch, um nicht noch weiteren Unmut in der eh schon viel zu langen Schlange an der Kasse zu erzeugen. Eigentlich hätte sie ihre Vorgesetzte nach dem Preis für das „minderwertige Produkt“ fragen müssen oder dieses ausbuchen müssen und dann wäre vielleicht das Problem entstanden:
Was ist eine Pflanze mit einem Blatt noch wert? Ist das überhaupt noch eine Pflanze?
„Die wird wieder“, sage ich zur Kassiererin und lächele sie an. Und die Menschen hinter mir in der Schlange lächeln auch – aus unterschiedlichen Gründen.

 

Als ich noch viele nächste Male komme, finde ich plötzlich alle Blumen gegossen vor. Bisher hatte ich in allen Supermärkten immer Wasserflaschen zum Einkaufen mitgenommen, um dort die vertrocknenden Pflanzen zu gießen. „Unser Chef hat eine Gießkanne gekauft und wir gießen die Blumen jetzt immer“, erzählt mir die Kassiererin stolz. Ich strahle und die Blumen auch.

 

„Wo kämen wir denn hin, wenn wir uns um jedes einzelne Blatt kümmern…“, zischt jemand hinter mir in der Schlange. Ja, das stimmt natürlich, aber was wissen wir Menschen mit unserem beschränkten menschlichen Gehirn schon letztendlich, wer oder was Pflanzen sind?

 

Tiere waren nichts als „seelenlose Automaten“

 

Mit eben diesen Gehirnen dachten wir noch vor gar nicht allzulanger Zeit, Tiere seien „seelenlose Automaten“. Der Philosoph Déscartes war führender Vertreter dieser Theorie. Darüber, dass Tiere keine Automaten sind, sind wir uns inzwischen in der Gesellschaft und der Wissenschaft einig, darüber, dass sie seelenlos sind, nicht. Immer mehr Menschen sprechen den Tieren auch außerhalb eines spirituellen Weltbildes eine Seele zu. Ich persönlich bin sehr gespannt, was wir wohl in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten über die Pflanzen herausfinden, sofern es sie und uns dann noch gibt..

 

Ja, die Diskussion um die Achtung vor dem Leben würde ins Endlose führen, genauso wie für mich manchmal gefühlt die Diskussionen in der Politik, z.B. die um Gesetze.

 

Warum brauchen wir Gesetze?

 

Die ursprünglichen Gesetze der Bibel, die den Menschen aufgetragen wurden, um ein friedliches Miteinander zu ermöglichen und die vor allem auch den Schutz der Schwachen beinhalteten, waren die zehn Gebote. Sie bilden sogar die Grundlage unserer Demokratie. Die meisten Leute wissen das gar nicht; sie denken WIR hätten die Demokratie erfunden.

 

„Warum braucht es überhaupt Gesetze?“ fragte ich mal einen Pastor. „Naja“, antwortete er, „weil der Mensch eben noch nicht fähig ist, immer und ausschließlich aus der Liebe heraus zu handeln.“ Und selbst wenn er das könnte – und dann auch noch täte -, käme ja noch das Problem hinzu, dass wir alle eine sehr unterschiedliche Definition von „Liebe“ haben. Einige Menschen lieben das Schnitzel auf ihrem Teller; andere das aus der Massentierhaltung gerettete Schwein auf ihrem Gnadenhof.

 

Die Ärmsten der Armen und der gefährliche Satz
„Es ist ja nur…“

 

„Die Ärmsten der Armen, das sind doch die Tiere!“, sage ich immer wieder zu verschiedenen Gelegenheiten in verschiedenen Kirchen. Und ich begründe es dann auch gleich immer: Nein, der Grund ist nicht, dass die Tiere nicht für sich selbst sprechen können, wie man jetzt vermuten würde. Der Grund ist, dass so viele Menschen überhaupt kein Mitgefühl und noch nicht einmal Mitleid mit einem Tier empfinden, das ungefragt und ganz selbstverständlich sein gesamtes und vielleicht einziges Leben für den Menschen opfern muss.

 

„Es ist ja nur ein Tier…“, höre ich dann immer wieder. Und genau dieser Satz ist so gefährlich, denn wo beginnt er und wo hört er auf? Es ist ja nur ein Kind, es ist ja nur ein einfacher Arbeiter, es ist ja nur ein psychisch kranker Mensch, es ist ja nur eine Pflanze. Oder vielleicht bezogen auf mich selber – so nach dem Motto: Es ist ja nur ein kleiner Kopfschmerz, es ist ja nur eine Grippe, es ist ja nur eine Nacht ohne Schlaf…

 

Mein Körper schreit zu mir, die Tiere schreien, die Menschen schreien… (Über-)hören wir die Schreie?

 

Der Aufschrei der Politik – regeln Gesetze das Durcheinander?

 

In der Politik schreien sich – für mich gefühlt – alle gegenseitig an. Und dann gibt es noch die „Marktschreier“, die immer mal wieder draußen auf öffentlichen Plätzen stehen und den Untergang der Politik, der Politiker:innen und vielleicht sogar unserer Welt beschreien.

 

Was für ein Durcheinander! Regelt man dieses Durcheinander mit Gesetzen? Und was ist, wenn genau die Menschen, deren Bedürfnissen DIE Gesetze bzw. bestimmte Gesetze nun mal nicht entsprechen diese einfach brechen – offenkundig, öffentlich oder heimlich, still und leise?

 

Welche Mittel hat man dann, um die Gesetze zu schützen und die, die durch sie beschützt werden sollen? Soll man die Gesetzesbrecher bestrafen, abschieben, ausschließen, öffentlich verunglimpfen, beschimpfen, verurteilen, beurteilen?

 

Was wäre die Welt ohne Gesetze? Sicherlich ein heilloses Durcheinander und mit Gesetzen ist sie dies in großen Teilen auch, weil wir eben alle so unterschiedlich sind und weil wir eben alle so unterschiedliche Bedürfnisse haben und auch so unterschiedlich mit den ganzen Gesetzen umgehen und mit der Erfüllung unserer Bedürfnisse und der Regulierung unserer Gefühle.

 

Und was machen wir jetzt?

 

Und was machen wir jetzt? Vielleicht trotzdem weiter in unseren Vereinen, Verbänden, Initiativen und eben in der Politik mit den Gesetzen zum Schutz der Schwachen, mit den Gesetzen, die versuchen ein friedfertiges und funktionierendes Miteinander zu regeln.

 

„Die Ärmsten der Armen sind doch die Tiere!“ , beharre ich. Wobei es auch Menschen gibt, mit denen Menschen kein Mitgefühl mehr haben, die vom Menschen selbst, den Begriff  „Mensch“ aberkannt bekommen.

 

„NEIN“ , sagen nicht nur die meisten  Kirchen, sondern auch die meisten Menschen zu den Tieren, „denn dieser Satz – die ‚Ärmsten der Armen‘ – bezieht sich auf die Menschen und unser Auftrag sind die Menschen. Wir kümmern uns zuallererst mal um die Menschen…“

 

Wir kümmern uns auch um die Menschen

 

Wir“ , kontere ich, „WIR kümmern uns auch um die Menschen, denn das schließt sich nicht aus!“ Und wenn ich mich um die Situation der Tiere kümmere, dann kümmere ich mich zeitgleich auch um den Menschen:

 

Ich arbeite an seiner Herzöffnung.
Ich arbeite daran, seine Verrohung aufzubrechen und seine Bereitschaft zu Gewalt gegenüber Schwächeren.
Ich führe ihn zurück zu seinem Mitgefühl, das ursprünglich in jedem Menschen zu jedem fühlenden Wesen angelegt ist.
Ich führe ihn zurück zur Achtung vor dem Leben und zum Bewusstsein darüber, dass der Mensch auf dieser Erde eben nicht die Krone der Schöpfung ist.
Ich führe ihn zurück zur Achtsamkeit und zur Dankbarkeit, zum Teilen und zum Miteinander.

 

Und ich führe mich selbst auch immer wieder dahin, an Tagen, wo ich schlichtweg mit dem linken Bein aufstehe, wo ich mich vielleicht zu sehr über die unterschiedliche Meinung eines Mitmenschen ärgere oder ein körperliches Unwohlsein mit dem „Ach es ist ja nur“ – Satz wegwische.

 

Wir sind auch für den Menschen da – für den Menschen um des Menschen willen – und für das Tier – um des Tieres willen – und für das Tier um des Menschen willen. Und ich persönlich auch immer wieder für die Pflanzen, denn wer weiß, wo uns unser Weg noch hinführt.

 

 

„Wir brauchen den Mut, denen eine Stimme zu geben, die nicht für sich selbst sprechen können …

…und eine Wahl zu treffen für Mensch, Umwelt und Tierschutz, bevor wir irgendwann keine Wahl mehr haben.“

 

Tanja Genski (*1971)

Theaterpädagogin & Tierschutzlehrerin

 

Tierschutzpartei Hamburg

Bezirk Harburg/Bergedorf

Kontakt: tanja-genski@tierschutzpartei.de